Sonntag, 29. Juni 2014

Virtuelle Steuerberatung


Virtuelle Steuerberatung ist technisch realisierbar, steht aber rechtlichen Hindernissen gegenüber. Und auch die Mandanten müssen sich noch mit dieser Organisationsform anfreunden.


Über 80.000 Steuerberater buhlen mittlerweile um die Gunst der Mandanten.1 Komplizierte Gesetze und immer schnellere Anpassungen bereiten vor allem kleineren Kanzleien große Probleme.Wer nicht in der Lage ist, mit seinen Mandanten zu wachsen, läuft Gefahr, sie zu verlieren. Daneben verschärft der demografische Wandel den Wettbewerb um junge Talente. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, virtuelle Netzwerke zu gründen, um Spezialwissen wechselnder Partner unter einer Marke anzubieten. Dabei wird die Arbeitsleistung außerhalb einer Kanzlei mit festen Bürozeiten erbracht. Möglich machen das die Verbreitung von Daten über das Internet sowie die fortschreitende Digitalisierung.

Virtuelle Organisation

Der Begriff "virtuell" beschreibt ursprünglich den Vorgang, bei dem ein Computer einen beliebig großen Arbeitsspeicher simuliert, indem er Daten auf einer Festplatte zwischenspeichert. In betriebswirtschaftlicher Hinsicht ist darunter eine neue Form zu verstehen, wie sich Unternehmen sowohl intern als auch extern organisieren können. Ein virtuelles Unternehmen ist eine Kooperationsform zwischen rechtlich unabhängigen Unternehmen. Aufbau- und Ablauforganisation werden kurzfristig, entsprechend den Anforderungen des Projekts, angepasst. Die Zusammenarbeit ist dabei auf einzelne, zeitlich befristete Projekte beschränkt. Zur Verwirklichung ihrer Ziele werden moderne Informations- und Kommunikationsmedien genutzt. Mit der nahezu überall - oft schon drahtlos - verfügbaren Internetverbindung stehen die Projektmitarbeiter praktisch permanent miteinander in Kontakt.

Mobiles Internet und Smartphones

Die Verbreitung von Smartphones führt in den USA bereits dazu, dass die SMS von der E-Mail auf diesen Geräten verdrängt wird. Ende 2007 besaßen mehr als zehn Millionen Deutsche über 14 Jahren ein UMTS-fähiges Gerät, Tendenz steigend. Ein derartiger Netzzugang ist besonders gefragt bei Geschäftskunden, die E-Mails, Termine und Kontakte wie im Büro nutzen wollen.2 Das mobile Internet ermöglicht es, stets mit dem Unternehmensnetz verbunden zu sein. Daten müssen nicht mehr lokal auf dem Laptop gespeichert werden. Dokumente können mobil bearbeitet und anderen Mitarbeitern über den zentralen Server zur Weiterbearbeitung bereitgestellt werden. UMTS ist heute Grundlage für die mobile Anwendung aller anderen Programme.

Dateimanagementsysteme

In einer virtualisierten Kanzlei haben alle Mitarbeiter von überall aus Zugang zu arbeitsrelevanten Informationen. Dazu werden die Daten in einem zentralen Dateimanagementsystem, kurz DMS, gespeichert. In dem Archiv können sämtliche elektronische Informationsträger wie E-Mails, Office-Dokumente, PDF- oder ZIP-Dateien, aber auch eingescannte, ehemals papiergebundene Dokumente wie Steuerbescheide oder Verträge schnell und einfach gespeichert werden. Die digitale Archivierung aller Informationen und Dokumente in einem einzigen System verkürzt die Suchzeiten, verbessert die Auskunftsbereitschaft gegenüber den Mandanten und steigert gleichzeitig die Qualität der laufenden Bearbeitung.

Intranet

Über das Intranet erhalten alle Beteiligten von unterwegs oder zu Hause aus Zugriff auf unternehmenseigene Daten und Dokumente des DMS. Der Steuerberater kann beispielsweise während des Termins beim Mandanten mobil auf aktuelle Zahlen aus der Buchhaltung oder eine Präsentation zugreifen. Das Intranet dient auch dazu, Kooperationspartner in die Prozesse einzubinden. Einem Anwalt im Verbund etwa kann der Zugriff auf Daten der Steuerberatungskanzlei ermöglicht werden. Typische Inhalte des Intranets sind betriebsinterne und öffentlich zugängliche Informationen wie Regeln, Absprachen, Verfahrens- und Arbeitsanweisungen sowie Formulare und sonstige Dokumente.

Cloud Computing

Cloud Computing verändert Betrieb, Bereitstellung, Support, Management, Sourcing, Architektur und Verwendung von IT grundsätzlich. Die Anwendungen und Daten befinden sich nicht mehr auf lokalen Rechnern, sondern - bildlich gesprochen - in einer Wolke (Cloud), verteilt über eine Anzahl von Systemen eines externen Anbieters. Der Zugriff erfolgt in der Regel über das Internet. Mit dieser Technik können auch kleinere Kanzleien Anwendungen nutzen, die aufgrund der Komplexität und der Kosten für Soft- und Hardware sonst nicht in Frage kämen. Die Sicherheit garantiert der Anbieter meist durch Kombination von Passwort, SmartCard oder Stimmerkennungssoftware. Da alle Rechenleistungen und Programme auf den Servern des Anbieters liegen, sind keine hohen Anforderungen an den Computer des Anwenders gestellt. Sogenannte Thin-Clients, also Computer mit niedriger Rechenleistung, oder ältere Modelle reichen aus.

Unified Communications

Die Kommunikation der Zukunft heißt Unified Communications (UC). Sie soll es den Mitarbeitern ermöglichen, unabhängig von Ort und Kommunikationsmedium auf allen Kanälen - Daten, Sprache und Video - kommunizieren zu können.3 All das über nur eine integrierte Benutzeroberfläche. Innerhalb dieser Arbeitsoberfläche erscheinen alle eingehenden Nachrichten wie Telefonate, SMS, Voice- und E-Mail, Instant-Message-Nachrichten oder Micro-Blogging News ähnlich Twitter.4 Die Mitarbeiter können sie direkt beantworten, bearbeiten oder an Kollegen weiterleiten. Über Statusinformationen können sie ihren Gesprächspartnern anzeigen, über welches Medium sie gerade kommunizieren können oder möchten. Auf diese Weise kann beispielsweise eine Abwesenheitsnotiz für die interne Chatfunktion über Instant-Messaging eingerichtet, oder es können alle Anrufe, die nicht einer bestimmten Prioritätsgruppe zugeordnet sind, weitergeleitet werden. Die Anlagen unterstützen auch Präsenzinformationen der Geräte.5 Sie weisen aus, über welches Gerät der Mitarbeiter gerade erreichbar ist. Wechselt er etwa das Endgerät von seinem Heimarbeitsplatz auf sein Smartphone, weil er mit dem Auto zum Mandanten fahren möchte, erkennt das Gerät das Auto über die Freisprecheinrichtung und lässt nur noch den Kommunikationskanal "Telefonieren" zu.
Der betriebswirtschaftliche Nutzen6 für die Unternehmen, und natürlich auch Kanzleien, besteht laut der International Data Corporation (kurz IDC) darin, dass
  • die Zusammenarbeit mit den Kollegen verbessert wird,
  • die Reaktionsgeschwindigkeit auf interne wie externe Anfragen deutlich steigt,
  • die Mitarbeiter nicht mehr durch die Datenflut auf unterschiedlichen Kanälen überfordert sind,
  • sämtliche Kontaktdaten über das Adressverzeichnis ad hoc zur Verfügung stehen und
  • die Produktivität der Mitarbeiter erhöht wird.

Rechtliche Aspekte

Vor der virtuellen Kooperation sind einige rechtliche Hürden zu nehmen. Problematisch ist schon, wenn mehrere, rechtlich eigenständige Berater unter einer gemeinsamen Marke auftreten. Folgende Fragen sind ebenfalls vorab zu klären:
  • Sind der Schutz des geistigen Eigentums sowie alle Fragen zu den Themen Datenschutz, Copyright Klauseln, Urheber-, Verwertungs- und Patentrechten geklärt?
  • Wurden alle haftungsrechtlichen Aspekte, etwa Gewährleistungs- oder Garantieansprüche beachtet?
  • Wer haftet für Beratungsfehler?
  • Ist der Status von Arbeitnehmer und Arbeitgeber, als Anknüpfungspunkt für das Arbeits- und Sozialrecht, festgelegt?
  • Sind Fragen der Schriftform, der Anwendbarkeit des nationalen Rechts oder der Steuerpolitik geklärt, um den reibungslosen Fluss von Informationen zwischen den Kanzleien, aber auch über Landesgrenzen hinweg, zu garantieren?
  • Entstehen kartellrechtliche Probleme durch die Kooperation mehrerer Unternehmen?

Berufsrecht

Wie alle Freiberufler muss auch der Steuerberater besondere, berufsrechtliche Vorschriften beachten.
In § 52 der Berufsordnung für Steuerberater (BOStB) in Verbindung mit § 56 Abs. 1 S. 2 und 3 sowie Abs. 2 Steuerberatergesetz (StBerG) sind die Personen genannt, mit denen sich ein Steuerberater zusammenschließen darf. Es handelt sich dabei vor allem um andere Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte oder im Ausland sitzende Personen mit vergleichbaren Tätigkeiten. Nach § 56 Abs. 5 StBerG dürfen Steuerberater mit Angehörigen freier Berufe Kooperationen eingehen, wenn sichergestellt ist, dass alle Berufspflichten eingehalten werden. Damit steht der virtuellen Zusammenarbeit mehrerer Steuerberater aus berufsrechtlicher Sicht generell nichts im Wege.

Werberecht

Wie jeder andere Unternehmer ist auch der Steuerberater mittlerweile auf einen Internetauftritt angewiesen. Dieser wird allerdings als Werbung angesehen - mit berufsrechtlicher Relevanz.7 Jahrzehntelang war es den Beratern verboten, für ihre eigene Kanzlei zu werben. Dieses grundsätzliche Verbot wurde 1996 vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgehoben.8 § 8 StBerG wurde danach durch § 57a ergänzt, der Werbung erlaubt.9 Wie das Gericht in seiner Urteilsbegründung feststellte, unterliegt die Bewertung, was als übliche, angemessene oder übertriebene Präsentation zu werten ist, stets zeitbedingten Veränderungen.

Datenschutz

In § 57 Abs. 1 StBerG ist die Verschwiegenheit geregelt. Sie zählt zu den wichtigsten Pflichten des Beraters und ist Grundlage des Vertrauensverhältnisses zu seinen Mandanten. Folglich ist das Thema Datensicherheit gerade in einer virtuellen Kanzlei von zentraler Bedeutung. Der Verlust sensibler Daten wäre das Worst-case-Szenario mit erheblichen rechtlichen Folgen für die Berater. Insoweit kommt auch eine fahrlässige Verletzung der Verschwiegenheitspflicht in Betracht. Sie ist gegeben, wenn unbefugte Dritte Unterlagen einsehen können, die dem Steuerberater anvertraut wurden.10 Versendet der Berater etwa vertrauliche Informationen in einer nicht geschützten E-Mail, kann das als grobe Fahrlässigkeit bis hin zu bedingt vorsätzlichem Handeln eingestuft werden, da es sich insoweit um eine unbefugte Offenbarung fremder Geheimnisse nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB handelt. Ferner sollte der Steuerberater auch Maßnahmen ergreifen, um Manipulationen durch unbefugten Datenzugriff zu vermeiden.

Berufliche Niederlassung

§ 34 Abs. 1 S. 3 StBerG verpflichtet den Steuerberater, innerhalb von sechs Monaten nach seiner Bestellung eine berufliche Niederlassung zu begründen. Laut Rechtsprechung kann das durch Einrichten einer räumlichen Organisationseinheit geschehen, die Anknüpfungspunkt für seine Kammermitgliedschaft ist.11 Ebenso muss nach § 50 Abs. 1 S. 2 StBerG mindestens ein Steuerberater, der gleichzeitig Gesellschafter ist, seine berufliche Niederlassung am Sitz der Gesellschaft oder in dessen Nahbereich haben. Eine ausschließlich virtuelle Kanzlei ist daher bislang nicht gestattet.
Im StBerG selbst wird der Begriff Beratungsstelle, an den die berufliche Niederlassung anknüpft, nicht definiert. Deshalb ist es fraglich, ob eine ausschließlich virtuelle Kanzlei, ungeachtet der Problematik ihrer Kammerzugehörigkeit, nach dem Gesetz in Zukunft jemals möglich sein wird. Ob diese spezielle Organisationsform, die sich im Bereich der Softwareentwicklung bereits bewährt hat, für eine Steuerberatungskanzlei überhaupt erstrebenswert ist, ist eine ganz andere Frage.

Akzeptanz durch den Mandanten

Letzter Schritt zu einer virtuellen Kanzlei ist die Digitalisierung des Informationsflusses mit den Mandanten. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Mandant überhaupt bereit ist, Datenverkehr und Kommunikation zu digitalisieren, damit die Verarbeitung der Informationen ortsunabhängig erfolgen kann. Einer empirischen Studie zufolge differenzieren die Mandanten insoweit zwischen monatlich und jährlich zu erbringenden Dienstleistungen sowie zwischen persönlichen und eher unpersönlichen Dienstleistungen.
Bei der Finanz- oder Lohnbuchhaltung scheint die Zeitersparnis den Aufwand für die Umstellung interner Prozesse (Digitalisierung) zu rechtfertigen. Anders verhält es sich bei der Abgabe von Unterlagen für den Jahresabschluss oder die Steuererklärung. Lässt man dem Berater bereits digitalisierte Unterlagen zukommen, ist die Bereitschaft zu erkennen, diesen Übertragungsweg auch für jährliche Unterlagen zu nutzen. Mandanten, die bereits eine digitale Finanzbuchhaltung führen, weisen jedenfalls deutlich höhere Zustimmungswerte für die Abgabe anderer digitaler Unterlagen auf.
Interessant ist aber, dass auch bei innovativen Mandanten der Wunsch nach persönlicher Betreuung durch den Steuerberater im Vordergrund steht. Zwar ist man bereit, den Versand von Daten zur Kanzlei zu digitalisieren. Videokonferenzen oder ein kompletter Verzicht auf persönlichen Kontakt werden hingegen zumeist abgelehnt. Der Hauptgrund für diese Haltung lag in der Unpersönlichkeit der digitalen Kommunikation. Das wird unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Neurowissenschaften die Herausforderung der Zukunft sein, da Kommunikation und Beziehungsmanagement die Hauptfaktoren eines guten Mandats und einer guten Kundenbeziehung sein werden.

Ausblick

Die rasante Entwicklung des Internets sowie die computergestützte Datenverarbeitung sind Wegbereiter virtueller Organisationsformen. Vor der Umsetzung sind aber noch rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen und die Mandanten von den Vorteilen des neuen Kooperationsmodells zu überzeugen.


"Cloud Computing verändert Betrieb, Bereitstellung, Support, Management, Sourcing, Architektur und Verwendung von IT grundsätzlich."

"Wie jeder andere Unternehmer ist auch der
Steuerberater mittlerweile auf einen Internetauftritt angewiesen."


1 Vgl. Mönninghoff, P. (2007) S. 23.
2 Vgl. Koenen, J. (2008), S. 15.
3 Vgl. E-commerce Magazin 2008 S. 20.
4 Benutzer können kurze Textnachrichten von maximal 140 Zeichen an andere Benutzer senden. Das soziale Netzwerk beruht darauf, dass man die Nachrichten anderer Benutzer (z.?B. Kollegen) abonniert, um so über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden zu bleiben.
5 Vgl. Rügge, I. (2007) S. 52.
6 Vgl. E-commerce Magazin 2008 S. 21.
7 Vgl. Kröger, D./Kellersmann, D. (2001) S. 48.
8 Vgl. § 57 a StBerG: Werbung ist erlaubt … soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist.
9 Vgl. Gehre, H./Borstel, R. (2005) S. 222.
10 Vgl. Oberlandesgericht Celle vom 17.06.1991 - StO 2/90.
11 § 73 Abs. 1, S. 1 StBerG.


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